12. Juli 2025, 13:11 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Hummeln gelten als unermüdliche Bestäuber im Tomatenanbau – doch hinter den Kulissen offenbart sich ein düsteres Bild: Massenzucht, Medikamenteneinsatz und qualvolle Tötung sind offenbar gängige Praxis.
Hummeln spielen eine Schlüsselrolle als Bestäuber im Gemüseanbau. Besonders Tomatenzüchter profitieren von ihrer einzigartigen Vibrationsbestäubung. Diese Methode sorgt für hohe Erträge und bessere Qualität der Früchte. Doch die Hummeln zahlen einen hohen Preis für den Anbau von Tomaten. Millionenfach gezüchtet, droht ihnen nach getaner Arbeit der Tod durch Verbrennen oder Einfrieren. In die Freiheit dürfen sie nicht entlassen werden, da sie als Gefahr für heimische Insekten gelten. PETBOOK recherchierte, wie Händler und Gemüseproduzenten mit diesen Vorwürfen umgehen. Das Geschäft mit Hummeln ist straff organisiert und lukrativ. Doch auf Nachfragen reagieren die Beteiligten zurückhaltend.
Folgen Sie jetzt myHOMEBOOK bei WhatsApp
Übersicht
- Nur Hummeln eignen sich als Bestäuber für Tomaten in Gewächshäusern
- Umweltverbände üben Kritik an Massenzucht von Hummeln zur Tomatenbestäubung
- Hummeln sind für den Großteil der Tomatenbestäubung weltweit verantwortlich
- Zuchthummeln stellen Gefahr für heimische Insekten dar
- Erdhummel bedroht heimische Hummelart in Chile
- Parasitenbefall in kommerziellen Hummelzuchten weitverbreitet
- Antibiotikaeinsatz wie in der Tiermast
- Händler von Hummelvölkern schweigen
- Tötung nach getaner Arbeit?
- Freilassung aus Mitleid in Großbritannien
- Geheimhaltung in der Hummelzucht
- Fazit
Nur Hummeln eignen sich als Bestäuber für Tomaten in Gewächshäusern
Blüh- und Nutzpflanzen müssen bestäubt werden. Besonders Tomaten, Auberginen und Kartoffeln brauchen Bestäuber. In der freien Natur übernehmen Wind, Vögel, Bienen und Hummeln diese Aufgabe. Aber in Gewächshäusern kommen freilebende Insekten nur schwer an die Pflanzen. Tomaten baut man oft geschützt an, weshalb sie nicht mit Bienen oder Hummeln in Kontakt kommen.
Bis Ende der 1980er-Jahre mussten Züchter ihre Pflanzen mühevoll händisch schütteln, um die Bestäubung sicherzustellen. Im kommerziellen Anbau ist das händische Schütteln der Pflanzen jedoch zu zeitintensiv und teuer. Daher setzen immer mehr Gemüse- und Obstanbaubetriebe auf speziell gezüchtete Hummelvölker.
Umweltverbände üben Kritik an Massenzucht von Hummeln zur Tomatenbestäubung
Hummeln können vibrieren und damit tiefsitzende Pollen aus den Blüten der Tomaten herausschütteln. Diese Fähigkeit macht sie für die kommerzielle Landwirtschaft besonders interessant. Seit den 1980er-Jahren züchtet man sie gezielt.
Hummeln gehören zu den Wildbienen. In Deutschland gibt es 41 Hummelarten, darunter die Dunkle Erdhummel. Diese Art wird besonders häufig gezüchtet. Die Völker leben eine Saison, im Herbst sterben Arbeiterinnen, Drohnen und Altkönigin. Im Frühjahr bildet die Jungkönigin ein neues Volk. Hummeln besuchen an ihrem 18-Stunden-Arbeitstag rund 3.000 Blüten pro Tier. Sie sind meist früher unterwegs als Honigbienen und fliegen schon bei niedrigen Temperaturen. Durch gezielte Auswahl sind die Hummeln auf Höchstleistung getrimmt. Mit ihren wilden Verwandten haben sie nicht mehr viel gemein, sagt Hummelexperte Harry Abraham im Gespräch mit PETBOOK.
Ein Hummelvolk besteht aus etwa 500 Tieren. Je nach Bedarf kommen mehrere Kartons mit Hummelvölkern in den Gewächshäusern zum Einsatz. 40 Arbeiterinnen können etwa 1.000 Quadratmeter Tomatenpflanzen für acht bis zwölf Wochen bestäuben. Der Vorteil: Weniger chemische Mittel gegen Schädlinge und Pflanzenkrankheiten. Trotz dieser Vorteile kritisieren Umweltverbände und Experten die Massenzucht der Hummeln. Sie bemängeln schlechte Bedingungen, vorbeugende Medikamentengaben und Gefahren für die heimische Insektenwelt. Zudem würden Hummeln, die nicht mehr benötigt werden, einfach getötet.
Hummeln sind für den Großteil der Tomatenbestäubung weltweit verantwortlich
Ein niederländischer Hummelzüchter wirbt mit besonders langlebigen und großen Völkern. Sein „Bestäubungspotenzial“ sei bis zu 30 Prozent höher als das anderer Anbieter. Rund 30 Betriebe weltweit betreiben Hummelzucht, in Europa sind Belgien, die Niederlande und Spanien führend. Das Geschäft boomt: Der größte Teil der weltweit produzierten Tomaten bestäubt man durch Hummeln, wie die Tierschutzorganisation Peta mitteilte.
Im Jahr 2023 wurden weltweit rund 190 Millionen Kilogramm Tomaten erzeugt. Deutsche Hummelzüchter sind meist Vertriebspartner für Großzüchter aus dem Ausland.
Auch interessant: Braune Flecken auf Tomaten? Welche Krankheit dahinterstecken kann
Zuchthummeln stellen Gefahr für heimische Insekten dar
Selbst wenn die Zuchthummeln Formen der natürlich vorkommenden Dunklen Erdhummel sind, sollten sie nicht entkommen und sich mit wilden Verwandten paaren. Das Freilassen von nicht heimisch vorkommenden Tieren ist in Deutschland verboten. Hummelexperte Harry Abraham und zahlreiche Natur- und Umweltverbände sehen darin außerdem eine Gefahr für freilebende Verwandte.
Erdhummel bedroht heimische Hummelart in Chile
Die Verpaarung gezüchteter Hummeln mit wilden Tieren könnte heimische Wildhummelarten verdrängen. Diese „Faunenverfälschung“ kann den Artenbestand nachhaltig verändern. Bereits 2018 berichtete der Belgische Rundfunk- und Fernsehsender BRF über Zuchthummeln aus Belgien, die in Südamerika zur invasiven Art wurden. Sie brachten die in Südamerika heimische Riesenhummel an den Rand des Aussterbens.
Parasitenbefall in kommerziellen Hummelzuchten weitverbreitet
In Nordamerika verdrängten entkommene Export-Hummeln heimische Arten und brachten unbekannte Parasiten und Krankheiten mit. Eine britische Studie aus dem Jahr 2013 zeigte, dass kommerziell gezüchtete Hummelvölker oft von Parasiten befallen sind. Diese können auch auf wildlebende Verwandte übergreifen. Entflogene Tiere könnten Erreger entweder direkt an andere Hummeln oder indirekt über Blüten übertragen.
Antibiotikaeinsatz wie in der Tiermast
Zuchthummeln züchtet man in großen Hallen dicht an dicht. Diese Massentierhaltung bietet Pilzen, Viren und Bakterien ein ideales Umfeld. In den engen Boxen können sich Parasiten und Bakterien schnell verbreiten. Züchter müssen daher vorbeugend zu Medikamenten greifen. „Wir kennen das Problem aus der Massentierhaltung“, so der Nabu Südbaden. „Dort werden prophylaktisch Medikamente wie Antibiotika eingesetzt.“ So auch bei Hummeln, sagt Abraham: „Die Tiere werden allein schon deshalb mit Antibiotika versorgt, damit sie die paar Wochen, die sie in einem Gewächshaus bestäuben sollen, überhaupt überstehen.“
Händler von Hummelvölkern schweigen
Wer seine Pflanzen von Hummeln bestäuben lassen möchte, kann die Tiere im Internet bestellen. Die Preise sind jedoch nicht öffentlich einsehbar. Verschickt werden die Tiere in den Behältnissen, in denen sie später im Gewächshaus leben.
Rund acht bis zwölf Wochen werden die Hummeln im Gewächshaus eingesetzt. Mehr als eine Million Hummelvölker kommen so pro Jahr allein in Europa zum Einsatz. Obwohl die Hummelzucht überwiegend ein Saisongeschäft ist, werden Tiere das ganze Jahr über verkauft, wie ein Händler gegenüber PETBOOK berichtet.
Ein niederländischer Großzüchter wirbt mit seinen Hummeln und einem riesigen Händlernetz. Hinter die Kulissen will er sich aber nicht schauen lassen. Fast jeder deutsche Hummelhändler hat Verbindungen zu diesem Züchter. Doch auch sie geben kaum Auskunft.
„Wir züchten die Tiere nicht, wir vertreiben sie nur“, hieß es mehrfach auf Anfrage. Was passiert mit den Hummeln nach der Bestäubung? Keine Antwort. Fakt ist: Man darf sie weder freilassen noch zurückschicken. Ihr Schicksal scheint besiegelt.
Tötung nach getaner Arbeit?
In Großbritannien gibt es klare Vorgaben der Hummelzüchter: Hummeln tötet man nach getaner Arbeit. Der Deutsche Tierschutzbund berichtet von grausamen Methoden. Nester einfrieren oder verbrennen – das ist „gang und gäbe“. Doch oft werden die Kartons nicht lange genug gekühlt. Die Folge: Tiere erwachen aus der Kältestarre, ersticken oder verhungern in Plastiktüten. Um Kosten zu sparen, verbrennt man auch die Hummelnester. Dabei sterben viele Tiere qualvoll.
Freilassung aus Mitleid in Großbritannien
Umfragen zeigen, dass viele britische Gemüsebauern die Hummeln aus Mitleid freilassen. Eine Tötung sei nicht nötig, versichert ein deutscher Händler: „Die Tiere leben ja ohnehin höchstens 23 Wochen, dann sterben sie von alleine.“ Auch die Gefahr für wilde Hummeln wird zurückgewiesen: „Die Hummeln entfliegen nicht, sie kehren immer wieder zu ihrem Volk zurück, und das steht im Gewächshaus.“
Geheimhaltung in der Hummelzucht
Auch Pflanzenzüchter, die Hummeln zur Bestäubung ihrer Plantagen einsetzen, schweigen. Ein niederländischer Tomatenproduzent wirbt zwar mit Hummelbestäubung, schweigt aber zum Schicksal der Tiere. Rückmeldung erhielt man aber schließlich von einem der größten europäischen Hummelzüchter aus den Niederlanden, der seine Tiere über deutsche Händler vertreibt, die keine Auskunft gaben. Doch: kein Wort zu den entscheidenden Fragen, was mit den Hummeln nach der Bestäubung und im Falle eines Entkommens aus den Gewächshäusern passiert. Hummelexperte Harry Abraham sagt dazu: „Hummelzucht ist eben aus zahlreichen Gründen ein streng gehütetes Geheimnis.“ Massenzucht und Medikamentengabe passen nicht ins Bild vom naturnahen Anbau. Viel Energie wird verbraucht, Hummelvölker weltweit verschickt – wenig ökologisch. Der Verdacht auf grausame Tötung schadet dem Image.

Wie kann man Hummeln in den Garten oder auf den Balkon locken?
Fazit
Hummeln sorgen für gesündere Pflanzen, mehr Ertrag und weniger Pflanzenschutzmittel. Doch ihr Transport ist CO₂-intensiv, die Zucht verschlingt viel Energie. Die Tiere werden offenbar unter fragwürdigen Bedingungen gezüchtet und eingesetzt. Ihr Schicksal nach der Bestäubung ist ungewiss, und ihr Einfluss auf heimische Insekten muss man weiterhin beobachten. Transparenz und Offenheit der Hummelzüchter und Gemüseanbaubetriebe wären nötig, doch sie schweigen lieber. Das schadet dem Ruf des angeblich naturfreundlichen Hummelgeschäfts.
Dieser Text erschien zuerst bei unserem Partnerportal PETBOOK