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Interview

Sanierungspflicht? Was das neue EU-Klimapaket „Fit for 55“ für Mieter bedeutet

Skyline Paris
In Zukunft sollen Gebäude in Europa so gebaut oder renoviert werden, dass ihr Energieverbrauch geringer ist Foto: Getty Images

15.02.2022, 15:03 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Auf Deutschland und ganz Europa könnte eine Renovierungswelle zurollen. Denn die EU will im Zuge ihrer Klimaschutzmaßnahmen auch sämtliche Gebäude nachhaltiger gestalten. Energieverbrauch und Emissionen sollen sinken – und dafür sind Renovierungen nötig. Die Kosten dafür könnten vor allem auf Mieter zurückfallen.

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Das ambitionierte Ziel der EU: Klimaneutralität bis 2050. Um das zu erreichen, sind verschiedene Maßnahmen geplant. Eine davon heißt „Fit für 55“. Das Paket bezieht sich auf das Ziel, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken. Egal, ob Wohn- oder Geschäftsgebäude – sie verschlingen in der EU rund 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Neben Warmwasser, Beleuchtung und Kühlung wird die meiste Energie für Wärme verbraucht – und umso schlechter etwa die Dämmung von Gebäuden ist, umso mehr muss geheizt werden. Das ist nicht nur teuer, sondern verursacht auch hohe Treibhausgasemissionen, die eben verringert werden sollen.

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Klimapaket „Fit for 55“ – was steckt dahinter?

Geht es nach der EU, soll mit „Fit for 55“ eine Renovierungspflicht kommen. Damit sollen energiefressende Bauten der Vergangenheit angehören. Gebäude mit der schlechtesten EU-Energieklasse G müssen dann zwingend auf eine effizientere Klasse renoviert werden. Das ist aber noch nicht alles – in Zukunft sollen die schlechtesten Klassen sogar komplett gestrichen werden.

Wohngebäude in Privatbesitz müssen dem EU-Plan zufolge bis spätestens 2030 die Mindeststandards für die Energieeffizienzklasse F erreichen – bis 2033 Klasse E. Konkret geht es dabei unter anderem um dichtere Fenster, Wärmedämmung für Dächer und Wände und umweltschonendere Heizsysteme. Vortritt haben dabei aber zunächst nicht Privateigentümer, sondern Regierungen, Unternehmen und Verwaltungen. Dennoch betrifft das Klima-Paket früher oder später auch Vermieter, Mieter oder Hauseigentümer – vor allem finanziell. Eine, die weltweit die Interessen von Mietern vertritt, ist Barbara Steenbergen. Sie leitet das EU-Büro der IUT International Union of Tenants in Brüssel. Steenbergen vertritt demnach die Mieterverbände auf internationaler Ebene. Im Interview mit myHOMEBOOK hat sie erklärt, was sie von „Fit für 55“ hält – und was damit auf Mieter zukommen könnte.

myHOMEBOOK: „Fit for 55“ – wie realistisch ist dieses Ziel?

Barbara Steenbergen: „Ich halte es für ehrgeizig. Wie bei allem, was von Brüssel kommt, muss man schauen, was technisch machbar, wirtschaftlich und bezahlbar für die Endverbraucher ist. Bezogen auf den Gebäudebestand: Wir wissen, dass es leichter möglich ist, bei Neubauten energieeffizient und klimaneutral zu bauen. Wir sind da im Bereich regenerative Energien ganz weit vorne mit dabei in Deutschland. Schwieriger ist die Ertüchtigung des Wohnungsbestandes. Das ist mit sehr hohen Kosten verbunden. Und diese müssen auch getragen werden, ohne dass es zu überhöhten Wohnkostenbelastungen kommt.“

Wer bezahlt am Ende für „Fit für 55“ – bezogen auf den Gebäudesektor?

Steenbergen: „In Deutschland können durch das bestehende Mietrecht die Kosten vollständig auf die Mieter umgelegt werden. Die Investitionen landen über eine erhöhte Kaltmiete beim Mieter. Problematisch ist jedoch, dass diese Mehrkosten meist nicht durch Energieeinsparungen in gleicher Höhe ausgeglichen werden. Dies führt zu einer sozialen Schieflage. Für viele Mieterinnen und Mieter bedeutet die Modernisierung, dass sie ausziehen müssen, weil sie sich die neue Miete nicht mehr leisten können. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, das sozial verträglich zu gestalten: Öffentliche Fördergelder für die Vermieter, etwa über die KfW, aber auch auf kommunaler Ebene. Das entlastet die Mieter bei den Modernisierungsmieterhöhungen.

Die EU hat angekündet, bis 2030 Fördermittel von 72 Milliarden Euro für den ineffizientesten Gebäudebestand bereitzustellen. Dieser soziale Klimafonds muss durch nationale Fördermittel aufgestockt werden, ist also eine Mischfinanzierung. Da muss man genauer hinschauen, ob das auch so durch die Bundesregierung realisiert wird. Eine Kürzung oder gar Einstellung der Fördermittel, wie jüngst beschlossen, ist der völlig falsche Weg.“

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Inwiefern werden die Mieter belastet?

Steenbergen: „Es kommt drauf an, wie ich eine große Renovierung anfasse. Manchen Vermietern ist nicht bekannt, wie man an Fördermittel kommt. Oder die bürokratischen Hürden sind zu hoch. Es kann aber auch daran liegen, dass der Vermieter sagt, ich brauch keine öffentlichen Förderungen, ich hole mir das Geld vom privaten Kapitalmarkt. Dies kommt den Mieterinnen und Mietern teuer zu stehen. Wenn der Vermieter die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen durch zinsverbilligte oder zinslose Darlehen aus öffentlichen Haushalten deckt, können diese nicht auf die MieterInnen umgelegt werden.

Was die EU vorschlägt, ist keine komplette Sanierungspflicht der Häuser. Bei „Fit für 55“ ist vorgesehen, dass man bis 2030 im Bereich der Wohngebäude renovieren muss, und zwar bis zur Energieklasse F. Dies bedeutet, dass bis 2030 kein Gebäude mehr der schlechtesten Energieklassen G und H angehören soll. Das sind Gebäude, die nur eine rudimentäre oder gar keine Dämmung haben. Oder unsanierte Altbauten, teilweise noch mit Kohleöfen oder Nachtspeicheröfen.

Die Forderungen wurden gestellt, und sie haben eine gewisse Berechtigung. Diese Häuser sind Energieschleudern, die sehr umweltbelastend sind, manchmal ein schlechtes Innenklima haben und für ihre Bewohner auch immense Heiz- und Energiekosten verursachen.“

Was bedeutet das für die Mieter solcher Gebäude?

Steenbergen: „Die Kaltmiete würde sich erhöhen. Was wäre ein Weg aus dem Dilemma? Wichtig wäre eine sogenannte Warmmietenneutralität. Das bedeutet, dass die Erhöhung der Kaltmiete durch Einsparungen bei den Heiz- und Betriebskosten ausgeglichen werden sollte.

Wenn sich mein Energieverbrauch durch Dämmung des Dachs, neue effiziente Heizanlagen und den Einsatz regenerativer Energien wie zum Beispiel PV-Anlagen so reduziert, dass dadurch die Mieterhöhung ausgeglichen wird, wäre es für beide Parteien gerecht – Win-Win. Der Vermieter hat durch die Renovierung einen Wertzuwachs seiner Immobilie, der Mieter hat weniger Energiekosten und einen besseren Wohnstandard.“

Wie könnte das am besten funktionieren?

Steenbergen: „Die EU sagt: Setzt Standards, bis 2050 müssen wir das gepackt bekommen. Da muss man jetzt Geld in die Hand nehmen. EU, Bund, Länder, auch Städte müssen zusammenlegen und die Fördermittel den Vermietern einfach und ohne viel Bürokratie zur Verfügung stellen.

Von Seiten des Staates rechnet sich das auch – man muss es nur intelligent machen. Wir müssen es den Menschen auch ermöglichen, die aktiv zum Klimaschutz beitragen wollen, ihren Beitrag zu leisten. Aber alles mit Augenmaß und Schwerpunkt auf der Bezahlbarkeit dieser Maßnahmen.“

Woran könnte es scheitern?

Steenbergen: „Bis jetzt ist der Vorschlag für Mieter und Vermieter nur tragbar, wenn das zwingend mit öffentlicher Förderung hinterlegt wird. Dem EU-Förderprogramm müssen außerdem die Mitgliedsstaaten zustimmen. 72 Milliarden auf alle 27 Mitgliedsstaaten verteilt – das ist bei weitem nicht genug. Die EU fordert eine Co-Finanzierung der Mitgliedsstaaten – das ist die Kernfrage, an der die Klimaneutralität scheitert oder ein Erfolg wird. Hier ist die Bundesregierung in der Bringschuld.“

Themen: Mietrecht Nachhaltig leben
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