VG Wort
Direkt zum Inhalt wechseln
logo Das Do-it-yourself-Portal für Haus und Garten
Baumarktpartner von myHOMEBOOK
OBI Logo
Umweltschonende Architektur

In Hannover steht ein Haus aus Bauabfällen

Recyclinghaus: Ein mehrgeschössiges Einfamilienhaus aus recyceltem Baumaterial
Recyclinghaus in Hannover: Mehr als die Hälfte der verwendeten Baumaterialien sind recycelt, die neuen Materialien können später wiederverwendet werden Foto: dpa picture alliance
Christian Glass
Christian Glass Redakteur

15.04.2021, 20:45 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Ein Haus aus Abfall? Das klingt irre – aber es steht, und zwar in Hannover. Doch darf man recycelte Bauteile eigentlich aus rechtlicher Sicht neu verwenden? Und wo findet man die Teile?

Artikel teilen

Kronkorken anstatt Mosaik-Fliesen fürs Bad, Saunabänke zieren die Eingangsfassade, alte Fensterteile dienen als Treppenstufen und Jutebeutel als Dämmstoff. In Hannover Kronsberg steht ein Einfamilienhaus, das in Deutschland einzigartig ist, denn es besteht überwiegend aus gebrauchten Bauteilen. Das preisgekrönte Recyclinghaus des Architekten Nils Nolting zeigt, dass Bauen auch umweltschonend geht. Denn Fakt ist: Der Bausektor ist verantwortlich für 50 Prozent des Verbrauches an Ressourcen und des Müllaufkommens.

Nolting will durch den konsequenten Einsatz von Recyclingbaustoffen ein Zeichen setzen, indem er Ressourcen radikal schont. Für ihn steht fest: Der vorhandene Gebäudebestand dient als riesiges Rohstofflager. Und das muss genutzt werden. Recyclinggerechte Bauweisen spielen seiner Ansicht nach in Zukunft eine immer wichtigere Rolle.

Aus welchen gebrauchten Bauteilen besteht das Recyclinghaus?

Beim Fundament kommt spezieller Recyclingbeton zum Tragen. Die Dämmschicht unter den Bodenplatten besteht aus Schaumglas-Schotter. Der mineralische Dämmstoff wird aus Altglas und Quarzsand gewonnen.

Der Rohbau besteht aus leimfreiem Massivholz. Nolting erklärt gegenüber myHOMEBOOK: „Die leimfreien Massivholzelemente sind keine gebrauchten Bauteile oder Recyclingbaustoffe.“ Nachhaltig ist der Einsatz dieses Baumaterials dennoch. Denn sollte das Recyclinghaus irgendwann einmal abgerissen werden, wandert der demontierte Rohbau erneut in den Stoffkreislauf.

Ungewöhnlicher Materialmix an der Fassade

Ein echter Hingucker an der Fassade – vor allem, wenn man ihre Herkunft kennt: Braune Hölzer von gebrauchten Saunabänken eines alten Sportclubs in Hannover. Generell stammen alle Materialien aus der näheren Umgebung. Denn lange Transportwege wollen beim nachhaltigen Bauen natürlich auch vermieden werden.

So stammt dann auch das alte Profilbauglas von einer örtlichen Lackiererei. Dieses spezielle Glas lässt zwar Tageslicht durch. Von außen sind die Räume jedoch nicht einsehbar. Hinzu kommen gebrauchte Aluminium-Fenster von einem ehemaligen „Haus der Jugend“.

Überraschung bietet das Recyclinghaus im Innenbereich

Für ein Haus aus gebrauchten Bauteilen wirkt die Fassade erstaunlich aufgeräumt. Anders im Inneren. Hier wirkt der Bau eher rustikal. Das hat sicher mit der Auswahl der verwendeten Materialien zu tun.

Recyclinghaus: Kronkorken an einer Badezimmerwand
Kronkorken statt Fliesen kleben in einem Badezimmer im Recyclinghaus Foto: dpa picture alliance
  • Ziegel einer alten Scheune dienen als nichttragende Wand und als Küchenblock
  • Eichenbalken aus einem Fachwerkhaus werden zu Brettstapelwänden
  • Gebrauchte Elemente aus dem Messebau dienen für Einbauschränke und Innenwände
  • Alte Fensterelemente werden zu Treppenstufen
  • Handläufer, Rohre und Unterkonstruktion stammen aus einem nahegelegenen Freizeitheim
  • Kronkorken dienen im Bad als Ersatz zu herkömmlichen Mosaikfliesen
  • Eine Waschschale war im früheren Leben das Aufgussbecken einer Sauna

Auch interessant: Kann die Glühbirne in den Altglas-Container?

Wo bekommt man recycelte Baustoffe und Bauteile?

Das Architektenteam um Nils Nolting hatte Glück. Zum einen konnte der Bauherr viel recyceltes Baumaterial zur Verfügung stellen. Auch ein Messebauer lieferte Bauteile. Die wären ansonsten wie üblich nach der Messe auf dem Müll gelandet. Auch hier wird man fündig:

  • Beim bundesweiten Netzwerk verschiedener Bauteilbörsen bauteilenetz.de findet man ein breites Angebot gebrauchter Bauteile. Die Experten geben zudem viele praktische Tipps rund um das Bauen mit recyceltem Material
  • Eine große Auswahl gebrauchter Bauteile und Baustoffe bietet zudem restado.de. In Kooperation mit der Online-Plattform wird derzeit in Berlin eine alte Brauerei mithilfe von recyceltem Baumaterial saniert und zu einem Wohn- und Bürohaus umgebaut.
  • Weitere Quellen sind Recyclingunternehmen, Entrümpelungsfirmen oder Flohmärkte. Auf Quoka oder ebay Kleinanzeigen werden alte Bauteile günstig und oftmals zum Selbstabholen oder Selbstausbau angeboten. Manchmal findet man auf diesen Plattformen kostbare Raritäten.

Auch interessant: Kann man aus Pilzen wirklich Häuser bauen?

Darf man überhaupt aus rechtlicher Sicht alte Bauteile neu verbauen?

In Deutschland müssen Architekten die Produkteigenschaften jedes Bauteils nachweisen. Auf Nummer Sicher geht man bei gebrauchten Bauteilen, deren Daten gut dokumentiert sind. So kann man konkret benennen, was das eigentlich für ein Bauteil ist und von wann es stammt. Auf diese Weise kann Garantie und Gewährleistung gebrauchter Bauteile eingehalten werden. Ohne solch einen Herkunftsnachweis können sich Handwerker beim Einbau jedoch querstellen.

Nils Nolting: „Im Falle unserer Fassadenverkleidung und der Fensterelemente war dies möglich, da es zu den Bauteilen eine umfassende Datenlage gab. Schadstoffe sind natürlich auch ein Thema, hier muss man ggf. mit Schadstoffproben die Unbedenklichkeit nachweisen.“

Infos über Bauteile dürfen nicht verloren gehen

Bei industriellem Recycling von Baustoffen sieht die Rechtslage entspannter aus. In einem Interview mit dem Deutschlandradiokultur erklärt der Architekt: „Jeder kann frei auf dem Baustoffmarkt verfügbare Recyclingprodukte einsetzen. Mit gebrauchten Bauteilen ist es sicherlich eine größere Herausforderung.“

Nolting meint, dass die Information über das, was verbaut werde, nicht verloren gehen darf. Dann könne man diese Baustoffe auch weiter nutzen. „Es wird zentral wichtig werden, dass wir die Materialien in unseren Gebäuden im Stoffkreislauf halten. Es ist auch wichtig, dass man schafstofffreie Materialien benutzt, die auch eine gute Recyclingfähigkeit haben.“

Seine Vision: Sobald ein Gebäude abgerissen werde, sollte man wissen, worum es sich handelt. So könne man das Baumaterial auch weiter benutzen.

Wie teuer ist ein Recyclinghaus?

Nils Nolting: „Preisvergleiche sind immer schwierig, da man Gefahr läuft, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Ein hochwertig geplantes Architektenhaus mit vielen besonderen Details wird generell meist teurer sein als ein Fertighaus „von der Stange“. Dafür sind aber die Qualitäten und Wertigkeiten auch völlig andere.“

 
Beispiel: Eine Innentür bekommt man im Baumarkt für hundert Euro. Im Recyclinghaus sind alle Türen vom Tischler gefertigt. „Klar, dass das teurer ist“, sagt Nolting. „Dafür sind aber alle Türen raumhoch ausgebildet und  haben eine ganz andere Wertigkeit und Raumwirkung.“

Kosten für Graue Energie mitrechnen

Der Aufwand für das Planen und Bauen mit gebrauchten Bauteilen ist wesentlich höher als bei konventionellen Bauvorhaben. Mehrkosten entstehen durch den höheren Aufwand und nicht durch die Materialkosten. Wenn allerdings die Umweltfolgekosten, die das Bauen verursacht eingepreist würden, wäre diese Bauweise auch wirtschaftlich konkurrenzfähig. 

Kosten, von denen viele Laien nichts wissen, fallen zudem für die CO2-Steuer an. Und auch die Deponierung von Abfällen wird immer teurer, denn Deponieflächen sind knapp.

Zudem müssen die Kosten für die sogenannte „Graue Energie“ einkalkuliert werden. Denn Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung gehen gehen ganz schön ins Geld. Nils Nolting sagt: „Wenn die Stellschrauben in der Politik gedreht werden, werden ökologische Bauweisen zunehmend wirtschaftlicher werden.“

Auch interessant: Wer muss eigentlich die CO2-Steuer bezahlen?

Mehr zum Thema

Wie lebt es sich eigentlich im Recyclinghaus?

Nils Nolting erklärt, dass das Recyclinghaus der Firma Gundlach gehört. Schon vor einem Jahr sind dort Mieter eingezogen. Nolting: „Die Mieter identifizieren sich stark mit dem Haus.“ Wer würde das nicht tun, bei bunten Kronkorken an der Badezimmerwand?

Themen: Nachhaltig leben
Das erste Werkzeug für jedes Projekt – heyOBI
OBI Logo
Anzeige
Deine Datensicherheit bei der Nutzung der Teilen-Funktion
Um diesen Artikel oder andere Inhalte über Soziale-Netzwerke zu teilen, brauchen wir deine Zustimmung für
Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung dieser Webseite mit Tracking und Cookies widerrufen. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit personalisierter Werbung, Cookies und Tracking entscheiden.